Asbestlungenkrebs
Bronchuskarzinom = Asbestlungenkrebs
Kein ärztlicher Sachverständiger bestreitet ernstlich, daß die berufliche Asbesteinwirkung zwei von einander unabhängige Auswirkungen hat, was die Asbeststaublunge und den Lungenkrebs anbetrifft.
Insofern könnte entsprechend der IAO-Liste der Internationalen Arbeitskonferenz in Genf ein Fall entschädigt werden, in welchem eine berufliche Asbestbelastung festgestellt wird und ein Lungenkrebs (siehe IAO-Liste zum Übereinkommen Nr. 121 zu Nr. 28).
So einfach macht es die Berufsgenossenschaft aber den Hinterbliebenen nicht.
Dies mag ein besonderer Fall belegen. Der Versicherte erkrankte nach einer beruflichen Asbestbelastung, die nach heutiger Sicht mit 6O Asbestfaserjahren bewertet wird, an einem Lungenkrebs. Die in der Akte der Berufsgenossenschaft enthaltene Leichenlunge (vom Pathologen papiermontiert) weist einen erhöhten Asbestfasergehalt auf.Gleichwohl verweigert die Berufsgenossenschaft nach wie vor die Entschädigung.
Was den erhöhten Asbestfasergehalt in der papiermontierten Lunge anbetreffe, so hätte der Pathologe darauf verwiesen, daß diese Lunge zusammen mit anderen Lungen im selben Glas aufbewahrt worden wäre und sich daraus die erhöhte Faserzahl erkläre.
Bezüglich des Vorliegens einer Asbestfaserstaubdosis von mindestens 25 Faserjahren müsse berufsgenossenschaftlich die Stichtagsregelung eingewandt werden, weil die Erkrankung vor dem O1.O4.1988 aufgetreten wäre.
Witwe und Waisen gehen also bis heute leer aus, obwohl neuere Fälle von Lungenkrebs bei Vorliegen von mindestens 25 Asbestfaserjahren berufsgenossenschaftlich neuerdings entschädigt werden, und zwar auf Grund der entsprechenden Erweiterung der Berufskrankheitenliste um diese Fälle. (25 sog. Asbestfaserjahre können bei einer harten Exposition bereits nach 3 Monaten Tätigkeit erreicht sein).
Während früher Fälle aus der Vorzeit einer Erweiterung der Berufskrankheitenliste zwanglos nach § 551 II RVO (Einzelfallentschädigung einer Berufskrankheit nach neuer medizinischer Erkenntnis) entschädigt wurden, soll dies heute nach einer neuen Rechtsprechung des BSG angeblich nicht mehr möglich sein.
Damit brach das Bundessozialgericht mit einer Jahrzehnte alten und eingespielten Praxis in der Rechtsprechung und bei den Berufsgenossenschaften.
Als ob der Verordnungsgeber, wenn dieser es überhaupt wollte, rückwirkend die Anwendung eines formellen Gesetzes in Fortfall bringen könnte, wenn die Berufskrankheitenliste mit Stichtagsregelung erweitert wird.
Die zitierte Rechtsprechung des BSG ist so praxisfern wie rechtswidrig.
Gleichwohl wird diese Rechtsprechung von den unteren Gerichten und den Berufsgenossenschaften befolgt.
Man muß im Jahre 1998 einmal einer Witwe, deren Kinder 1986 und 1987 geboren sind und den Vater vor dem Stichtag des O1.O4.1988 etwa verloren haben, erklären, daß nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nunmehr diese Fälle als „Altfälle“ nicht mehr entschädigt werden dürfen, auch nicht nach § 551 II RVO (der sogenannten Öffnungsklausel).
Einmal handelt es sich nicht um einen Altfall.Der soziale Handlungsbedarf liegt hier auf der Hand in dem Sinne, daß man die Witwe und Waisen nicht ihrem Schicksal überlassen darf, obwohl es sich um einen Asbestlungenkrebs handelt.
Wenn die Stichtagsregelung so verstanden wird, „wo gehobelt wird, fallen auch Späne“, also daß übermäßige Härten von den Hinterbliebenen hinzunehmen sind, dann entfernt man sich in der Rechtsprechung und der Entschädigungspraxis der Berufsgenossenschaften nicht nur von der Kausalitätsbetrachtung, sondern
auch vom sozialen Rechtsstaat.
Da der Lohn des Versicherten diese Gesundheits schäden nicht abgilt, könnte sogar eine Arbeitgeberhaftung nach § 67O BGB analog in Betracht kommen, Aufwendungsersatz für Körperschäden aus gefährlicher Arbeit.
Ausweislich der Statistik wurde überdies bereits 1981 ein Lungenkrebsfall nach Asbesteinwrikung berufsgenossenschaftlich in Entschädigung genommen, der weder eine sogenannte Minimalasbestose in Form der Staublunge aufwies noch eine entsprechende Faserjahrzählung von mindestens 25 Asbestfaserjahren.
Diese Faserjahrzählung rührt daher, daß man den Gutachtern die Tatsache nicht abnehmen wollte, wonach ein Asbestlungenkrebs auch isoliert durch die Asbesteinwirkung verursacht sein kann.
Wie gesagt, kein Gutachter vertritt andererseits ernstlich etwa eine Narbenkrebstheorie.
Der Asbestlungenkrebs braucht also nicht auf dem Boden asbestotischer Narben entstanden zu sein.
Ein Gutachter wurde dahin abgestraft, daß man wegen dessen positiven Entschädigungsvorschlages in dem 1981 entschädigten Fall eines Lungenkrebs ohne gleichzeitiges Vorliegen einer sogenannten Minimalasbestose berufsgenossenschaftlich diesem Gutachter zunächst keine Gutachtenaufträge mehr erteilte.
Während der Gutachter vorher auf 2 Jahre im voraus mit Gutachten ausgebucht war, schmolz der Gutachtenauftragsbestand bis auf den Tagesstand zurück.
Verständlicherweise suchte dieser renommierte Arbeitsmediziner nach einem Ausweg.
So wurde dann schließlich das Faserjahrmodell geboren.
Zunächst wurden dann aber auch weniger Faserjahre als 25 zur Voraussetzung gemacht.
Aber auch damit fand der Gutachter bei den Berufsgenossenschaften kein Gehör, so daß wir es nunmehr mit 25 Asbestfaserjahren zu tun haben müssen oder mit dem Vorliegen einer Minimalasbestose, daß jedenfalls in neuerer Zeit ein Lungenkrebs entschädigt werden kann.
Feststellen läßt sich, daß jährlich nach wie vor Hunderte oder gar Tausende nicht die ihnen zustehende Berufskrankheitenentschädigung wegen Asbestlungenkrebs erhalten.
Statistisch läßt sich dabei eine Besonderheit feststellen.
Während wegen der extremen Seltenheit von Mesotheliomen sich ein Verhältnis von 1 zu 1O etwa ergeben könnte, d.h. auf ein Asbestmesotheliom kommen 1O Asbestlungenkrebsfälle, hat sich offenbar gegenwärtig das Verhältnis der entschädigten Fälle im Sinne von etwa 1 zu 1 ergeben.
Daß der Betreffende geraucht hat, im Falle des Asbestlungenkrebs, schließt den Versicherungsschutz nicht aus, weil wesentliche Mitsursächlichkeit der beruflichen Mitursache genügt.
Hat ein Asbestwerker das relative Lungenkrebsrisiko von 5 und der Raucher ein solches von 1O, so multipliziert sich das relative Lungenkrebsrisiko nach einer amerikanischen Studie auf den Faktor 53, wenn die Asbestarbeit mit dem Rauchen zusammentrifft.
Versicherungsrechtlich handelt es sich hier um ein schönes Beispiel, wie man durchaus nicht annähernd gleichwertige Mitursachen verschiedener Art vorfindet, von denen jede jeweils für sich sehr wohl wesentlich ist.
Statt so die Wesentlichkeit wegen des multiplikativen Faktors auch für die berufliche Ursache zu berücksichtigen, scheint man berufsgenossenschaftlich lieber den Privatcharakter der Rauchgewohnheit des Versicherten in den Vordergrund zu stellen und mehr dahin zu ermitteln, statt nach den beruflichen Ursachen zu forschen.
Rechtsweghinweis:
In einem Fall sprach eine Berufsgenossenschaft gegen über dem Gericht wegen des Vorliegens einer genügenden Faserjahrzahl ein Anerkenntnis aus, und zwar nach § 551 II RVO.
Der Fall rührte offenbar aus dem Jahr 1982 her.
Als man sich berufsgenossenschaftlich dann Gedanken darüber machte, daß die kommende Berufskrankheitenverordnung nicht so weit zurückreichen würde, versuchte die Berufsgenossenschaft wenig später, das dem Gericht gegenüber erklärte Anerkenntnis der Berufskrankheit zu widerrufen.
Damit hatte die Berufsgenossenschaft in dem vom Verfasser betreuten Fall gottlob keinen Erfolg.
Die Berufsgenossenschaft blieb an das Anerkenntnis gebunden, das rechtlich auch einwandfrei war.
Die gegenwärtige Ablehnungspraxis im bezeichneten Sinne hält demgegenüber rechtlichen Bedenken nicht stand.
Eine gesetzeskonforme Auslegung könnte im Falle des isolierten Asbestlungenkrebs dahin erfolgen, daß man unter einer Asbeststaublungenerkrankung auch den isolierten Lungenkrebs versteht, weil dieser im Wortsinne ebenfalls durch Asbeststaub verursacht wird, auch im Sinne der BK Nr. 41O3 (sehe Berufskrankhetisnummer 4103).
Daß in Deutschland die internationale Vorgabe der IAO-Liste nicht umgesetzt wird wie angesprochen, bereitet vielen Betroffenen unendliches Leid.